September 3, 2025
Viele Digitalisierungsprojekte scheitern an vermeidbaren Fehlern. Nach 20 Jahren Praxis zeige ich dir die 5 häufigsten Stolpersteine und wie du sie umgehst. Mit konkreten Tool-Empfehlungen, realistischen Kosten und einem praktischen Schritt-für-Schritt-Fahrplan für deinen Erfolg.

Die meisten Unternehmen starten voller Enthusiasmus in die Digitalisierung. Neue Software wird gekauft, Berater engagiert, Prozesse sollen optimiert werden. Und dann? Läuft es doch nicht wie geplant. Die Software wird kaum genutzt, die alten Excel-Listen leben weiter, und am Ende fragt sich jeder: Was ist da schiefgelaufen?
Nach 20 Jahren in der Digitalbranche haben wir die typischen Muster erkannt. Dieser Artikel zeigt dir die häufigsten Stolpersteine und vor allem, wie du sie vermeidest.
"Wir müssen digitaler werden" höre ich oft in Erstgesprächen. Das ist ungefähr so präzise wie "wir müssen besser werden". Die Wahrheit ist: Digitalisierung ohne konkretes Ziel ist wie eine Reise ohne Ziel. Du bewegst dich, aber kommst nirgendwo an.
Ein mittelständisches Unternehmen aus dem Maschinenbau hat das schmerzhaft erfahren. Sie investierten sechsstellig in eine CRM-Software, weil das heute eben jeder hat. Nach einem Jahr war die Nutzungsquote bei unter 20 Prozent. Der Grund war simpel: Niemand hatte definiert, welches Problem die Software eigentlich lösen sollte. Die Vertriebsmitarbeiter hatten ihre eigenen Excel-Listen, die für sie perfekt funktionierten. Die neue Software war objektiv besser, löste aber kein echtes Problem.
Bevor du also auch nur einen Euro in Digitalisierung investierst, nimm dir zwei Stunden Zeit und beantworte diese Fragen schriftlich: Was kostet dich aktuell am meisten Zeit? Und damit meine ich konkret – welche Tätigkeit, wie viele Stunden pro Woche? Wo verlierst du Kunden oder Aufträge? Welche Fehler passieren immer wieder? Was frustriert deine Mitarbeiter täglich?
Erst wenn du diese Antworten schwarz auf weiß vor dir hast, beginnt echte Digitalisierung. Alles andere ist teures Rätselraten.
Eine Zahl, die ich in meinen Projekten immer wieder bestätigt sehe: Digitalisierung ist zu 20 Prozent Technik und zu 80 Prozent Change Management. Die meisten Projekte behandeln es genau andersrum, und genau da liegt das Problem.
Stell dir folgendes Szenario vor: Die Geschäftsführung entscheidet, dass ab morgen alle mit einer neuen Software arbeiten. Die IT richtet alles ein, es gibt eine zweistündige Schulung, und dann sollen alle loslegen. Was tatsächlich passiert? Die Mitarbeiter nicken in der Schulung, gehen zurück an ihre Arbeitsplätze und machen weiter wie bisher. Heimlich, im Schatten der offiziellen Systeme, leben die alten Prozesse weiter.
Erfolgreiche Digitalisierung beginnt deshalb lange vor der Software-Auswahl. Sie beginnt mit Gesprächen. Mit echtem Zuhören. Mit der Frage an die Mitarbeiter: Was würde euren Arbeitsalltag leichter machen? Die Antworten werden dich überraschen. Oft sind es nicht die großen Systeme, die fehlen, sondern kleine, nervige Zeitfresser, die niemand auf dem Radar hatte.
Ein Beispiel aus der Praxis: Bei einem Handelsunternehmen verbrachten die Mitarbeiter täglich eine Stunde damit, Lieferscheine manuell in verschiedene Systeme einzutragen. Die Geschäftsführung plante ein neues ERP-System für eine halbe Million Euro. Die Mitarbeiter wollten nur eine simple Scan-Lösung mit automatischer Texterkennung. Kostenpunkt: 200 Euro monatlich. Rate mal, was mehr Begeisterung ausgelöst hat.
Der Schlüssel liegt darin, in jedem Team einen digitalen Champion zu identifizieren. Das ist keine offizielle Position, sondern jemand, der natürliche Neugier für neue Tools mitbringt. Diese Person wird dein Multiplikator. Sie überzeugt die Skeptiker, hilft bei Problemen und sorgt dafür, dass die Veränderung von innen kommt, nicht von oben.
Es klingt so verlockend: Eine Software, die alles kann. ERP, CRM, Projektmanagement, E-Mail-Marketing, Buchhaltung - alles aus einer Hand, alles perfekt integriert. In der Realität bedeutet das meist: Eine Software, die alles ein bisschen kann, aber nichts richtig gut.
Ich habe Unternehmen gesehen, die Millionen in All-in-One-Lösungen investiert haben. Am Ende nutzten sie vielleicht 10 Prozent der Funktionen und zahlten für 100 Prozent. Noch schlimmer: Wenn ein Bereich nicht funktioniert, steht oft das ganze System. Wenn der Anbieter die Preise erhöht, bist du gefangen. Wenn eine Funktion fehlt, musst du auf das nächste große Update warten.
Die Alternative heißt Best-of-Breed. Du wählst für jeden Bereich das Tool, das genau diesen Job am besten erledigt. Für die Buchhaltung nimmst du Lexoffice oder sevDesk, für das CRM Pipedrive oder HubSpot, fürs Projektmanagement Asana oder Monday. Das klingt nach mehr Komplexität, ist es aber nicht.
Der Zauber liegt in der Integration. Tools wie Zapier oder Make verbinden heute fast alles miteinander. Ein praktisches Beispiel: Ein Kunde füllt ein Kontaktformular auf deiner Website aus. Zapier erkennt das, legt automatisch einen Kontakt in deinem CRM an, schickt eine Willkommens-Mail über dein E-Mail-Tool und erstellt eine Aufgabe in deinem Projektmanagement-Tool. Vier verschiedene Systeme, die nahtlos zusammenarbeiten. Und wenn dir ein Tool nicht mehr gefällt? Du tauschst es aus, ohne dass dein ganzes System zusammenbricht.
Der finanzielle Vorteil ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Spezialisierte Tools kosten zusammen oft nur einen Bruchteil einer großen Enterprise-Lösung. Ein kleines Unternehmen mit 10 Mitarbeitern zahlt für einen professionellen Tool-Stack etwa 500 Euro monatlich. Die vergleichbare All-in-One-Lösung würde das Dreifache kosten.
Einen chaotischen Prozess digital abzubilden macht ihn nicht besser, nur schneller chaotisch. Das ist wie wenn du dein unaufgeräumtes Büro fotografierst und glaubst, jetzt sei Ordnung geschaffen.
Ein klassisches Beispiel ist der Freigabeprozess. In vielen Unternehmen wandert ein Angebot durch fünf Abteilungen, bevor es rausgeht. Jeder will seinen Stempel draufsetzen, niemand will Verantwortung übernehmen. Das dauert eine Woche. Jetzt kommt die Digitalisierung: Dasselbe Angebot wandert digital durch fünf Abteilungen. Es dauert immer noch eine Woche, nur jetzt mit digitalen Stempeln.
Die Lösung beginnt mit einer einfachen Übung. Nimm dir ein großes Blatt Papier und zeichne einen deiner wichtigsten Prozesse auf. Jeden einzelnen Schritt, jede Entscheidung, jede Schleife. Dann kommt der entscheidende Teil: Bei jedem Schritt fragst du dich, warum machen wir das eigentlich? Die Antwort "das haben wir schon immer so gemacht" ist übrigens keine gültige Antwort.
Bei einem Kunden haben wir so den Angebotsprozess analysiert. Von den zwölf Schritten waren vier überflüssig, drei konnten zusammengefasst werden, und zwei ließen sich automatisieren. Am Ende blieben drei sinnvolle Schritte übrig. Die Durchlaufzeit sank von fünf Tagen auf vier Stunden. Erst dann haben wir digitalisiert.
Ein weiteres Beispiel: Die Urlaubsbeantragung. Früher füllte der Mitarbeiter einen Zettel aus, der Vorgesetzte unterschrieb, die Personalabteilung trug es ein, der Mitarbeiter bekam eine Kopie. Vier Schritte, drei Tage Laufzeit. Die digitale Lösung? Mitarbeiter trägt Urlaub im Tool ein, Vorgesetzter bekommt eine Benachrichtigung und klickt auf "Genehmigen", fertig. Zwei Klicks, eine Minute.
Nach einem Jahr Digitalisierung fragt der Geschäftsführer: "Was hat uns das eigentlich gebracht?" Wenn die Antwort Schulterzucken ist, habt ihr ein Problem. Gefühlt läuft es besser, aber Gefühle bezahlen keine Rechnungen.
Dabei ist die Lösung so einfach, dass sie oft übersehen wird. Bevor du irgendetwas änderst, dokumentiere den Ist-Zustand. Wie lange dauert der Prozess heute? Wie viele Fehler passieren? Wie zufrieden sind die Mitarbeiter auf einer Skala von eins bis zehn? Was sind die direkten und indirekten Kosten?
Diese Baseline ist Gold wert. Ohne sie tappst du im Dunkeln. Mit ihr kannst du nach drei, sechs und zwölf Monaten exakt sagen, was sich verbessert hat. Und genauso wichtig: Was sich nicht verbessert hat und nachjustiert werden muss.
Ein Kunde aus dem Großhandel hat das perfekt umgesetzt. Vor der Digitalisierung brauchte die Auftragsabwicklung durchschnittlich 45 Minuten pro Bestellung. Fehlerquote lag bei 8 Prozent. Kundenbeschwerden pro Monat: 15. Nach sechs Monaten mit dem neuen System: 12 Minuten pro Bestellung, 2 Prozent Fehlerquote, 3 Beschwerden pro Monat. Das sind harte Fakten, die jeder versteht.
Wichtig dabei: Erwarte keine Wunder in den ersten Wochen. Jede Veränderung führt erstmal zu einem Produktivitätseinbruch. Die Leute müssen sich umgewöhnen, neue Abläufe lernen, Kinderkrankheiten ausbügeln. Die meisten Digitalisierungsprojekte zeigen erst nach drei bis sechs Monaten ihre volle Wirkung. Wer nach vier Wochen aufgibt, verschenkt den eigentlichen Erfolg.
Die ersten vier Wochen sind entscheidend. Nimm dir Zeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme. Liste alle Tools und Systeme auf, die aktuell im Einsatz sind. Du wirst überrascht sein, wie viele das sind. Dokumentiere deine fünf zeitintensivsten Prozesse, aber wirklich dokumentieren, nicht nur im Kopf durchgehen. Und dann das Wichtigste: Sprich mit deinen Mitarbeitern. Nicht in einem großen Meeting, sondern in Einzelgesprächen oder kleinen Gruppen. Frag sie, was sie täglich nervt, wo sie Zeit verlieren, was sie sich wünschen würden.
Aus diesen Informationen kristallisiert sich meist schnell ein Hauptproblem heraus. Widerstehe der Versuchung, gleich drei Probleme anzugehen. Eins nach dem anderen. Bewerte dieses eine Problem nach zwei Kriterien: Wie groß ist der Aufwand es zu lösen, und wie groß ist der Nutzen? Das beste Projekt für den Start hat einen überschaubaren Aufwand bei hohem Nutzen. Die Quick Wins motivieren für die größeren Brocken.
Für die Tool-Auswahl gilt: Weniger ist mehr. Teste maximal drei verschiedene Lösungen, nutze immer die kostenlosen Testversionen, und beziehe von Anfang an ein kleines Test-Team ein. Fünf motivierte Mitarbeiter reichen völlig. Sie testen vier Wochen lang im echten Arbeitsalltag, treffen sich wöchentlich zum Austausch und entscheiden dann gemeinsam.
Der Rollout sollte gestaffelt erfolgen. Erst eine Abteilung komplett umstellen und alle Kinderkrankheiten ausmerzen. Dann die nächste Abteilung mit den Erfahrungen aus der ersten. So vermeidest du flächendeckendes Chaos und lernst mit jedem Schritt dazu.
Lass uns über Geld reden. Die reinen Software-Kosten sind meist überschaubar. Ein Kleinstunternehmen kommt mit 50 bis 200 Euro monatlich aus. Kleine Unternehmen bis 20 Mitarbeiter zahlen zwischen 500 und 2000 Euro pro Monat. Im Mittelstand können es schon mal 20.000 Euro monatlich werden, aber da reden wir von umfassenden Enterprise-Lösungen.
Die eigentlichen Kosten liegen woanders. Da ist der Produktivitätsverlust während der Umstellung. Rechne damit, dass die Produktivität in den ersten zwei Monaten um 20 bis 30 Prozent sinkt. Die Mitarbeiter brauchen Zeit zum Lernen, machen Fehler, sind unsicher. Das ist normal und geht vorbei, kostet aber erstmal Geld.
Dann die Schulungszeit. Pro Mitarbeiter solltest du mindestens zwei volle Tage Schulung einplanen, verteilt über mehrere Wochen. Bei 20 Mitarbeitern sind das 40 Arbeitstage, die erstmal fehlen. Dazu kommen oft externe Trainer, die zwischen 500 und 2000 Euro pro Tag kosten.
Die Datenmigration wird gerne unterschätzt. Alle Kundendaten, Produktdaten, Historiendaten müssen ins neue System. Entweder macht das jemand manuell - sehr zeitaufwendig - oder du beauftragst Spezialisten - sehr teuer. Plane hier mindestens eine Woche Aufwand ein.
Nach dem Go-Live kommen immer Anpassungen. Immer. Das Formular muss anders aussehen, der Report braucht zusätzliche Felder, die Schnittstelle hakt. Rechne mit etwa 20 Prozent der initialen Projektkosten für Nacharbeiten im ersten Jahr.
Klingt alles teuer? Ist es auch. Aber die Rechnung geht trotzdem auf. Die meisten gut geplanten Digitalisierungsprojekte amortisieren sich nach 12 bis 18 Monaten. Danach sparst du jeden Monat bares Geld. Ein Rechenbeispiel: Du investierst 50.000 Euro und sparst danach 5.000 Euro monatlich durch effizientere Prozesse. Nach zehn Monaten bist du im Plus, danach ist es reiner Gewinn.
Start small, think big. Dieser Satz fasst alles zusammen. Du musst nicht alles auf einmal digitalisieren. Such dir einen Prozess aus, der dich nervt, und fang damit an. Lern aus den Erfahrungen, feiere die kleinen Erfolge, und geh dann den nächsten Schritt.
Die digitale Transformation ist kein Projekt mit Anfang und Ende. Es ist eine kontinuierliche Entwicklung. Unternehmen, die das verstanden haben, sind erfolgreicher. Sie experimentieren, lernen, passen an und werden jeden Monat ein bisschen besser.
Der beste Zeitpunkt anzufangen war gestern. Der zweitbeste ist heute. Also, welchen Prozess wirst du als erstes angehen?








